"Europas vergessene Region", "Klein-Europa", "Bukowinas Bewußtseinswandel", "homo bucoviniensis" das sind Redewendungen, die wir des öfteren hören. Zahlreiche wissenschaftli?he Konferenzen, wissenschaftliche und publizistische Artikel über Probleme der Bukowinakunde während der letzten drei Jahre schockieren anfangs, um danach eine Unmenge von Fragen dem zeitgenössischen Bukowiner anzuwerfen. Um was handelt es sich eigentlich? Warum "eine vergessene Region"? Was soll der "Bewußtseinswandel Bukowinas" bedeuten? Alles Fragen, auf die man die Antwort teilweise in den gesammelten Erwähnungen in den Erzählungen über "das gute Österreich der Franz-Josephs Zeiten" finden kann sowie in den zahlreichen Artikeln zur Landeskunde in den modernen bukowinischen Periodika.
In der Begierde, unseren eigenen Beitrag als Antwort auf viele Fragen der bukowinischen Vergangenheit beizufügen, wollen wir versuchen, eine Seite der Geschichte der Buchenland-deutschen aufzuhellen, da ihre Nationalkultur eine bedeutende Rolle in der historischen Entwicklung der Bukowina gespielt hat. Ihr gebührt eine besondere Stelle unter den anderen Faktoren, die wesentlich auf die Gestal tung des Selbstbewußtseins und der europäischen Mentalität der Einwohner des Landes eingewirkt haben. Deshalb hält heute das objektive Studium der Geschichte der Bukowina-deutschen, ihre kulturell-aufklärende, sozial-politische und gemeinnützige Tätigkeit, eine besondere Aktualität in den Beziehungen der Ukraine zur Europäischen Gemeinschaft.
Zentrum des kulturellen Lebens der Bukowinadeutschen war lange Zeit das Deutsche Haus in Czernowitz. Das Entstehen und die Tätigkeit in diesem Haus zeugten von einem hohen Niveau der nationalen Kultur der Deutschen in diesem Lande.
Die Geschichte des Deutschen Hauses ist nicht nur eine Beschreibung der Errichtung dieses Gebäudes, es ist auch die Geschichte der Entwicklung des deutschen nationalen Selbstbewu?tseins in der Bukowina und in der Hauptstadt Czernowitz. Die ersten Kenntnisse über die Deutschen in der Bukowina finden wir schon im Mittelalter. Es waren Händler, die aus Transsylvanien (Siebenbürgen) eingewandert sind. Sie haben sich in den Städten Sereth und Suczawa niedergelassen und nach einiger Zeit noch südlicher in einigen moldauischen Städtchen.
Bukowinas Anschluß zu Österreich im Jahre 1775 hat eine neue Welle der Immigration hervorgerufen. Zuerst waren es die Heeresangestellten (das Militär), Beamten und Handwerker, die sich vor allem in Czernowitz, Sereth und Suczawa festgesetzt haben. Und nur in den achtziger Jahren des XVIII. Jahrhunderts begann die Immigration der schwäbischen Bauern, ein Teil derer aus Banath herüber gekommen sind, weil sie die Möglichkeit, sich dort anzusiedeln nicht erreicht hatten. Als Arbeiter, die damals Bergbaubetriebe gegründet haben, sind in die Bukowina die Zipser aus Oberungarn eingewandert. Arbeiter der Glashüttenwerke waren deutsche Einwanderer aus Böhmen, die sich in der Bukowina am Anfang des XIX. Jahrhunderts festgesetzt haben.
Als zweite große Welle der deutschen Immigration in unser Land wird die Kolonialisierung der Böhmendeutschen betrachtet. Sie haben sich Mitte des XIX. Jahrhunderts hauptsächlich auf den großen Grundbesitzungen und in den Karpathen angesiedelt.
Der ersten österreichischen Volks zählung nach betrug die Gesamtzahl der Einwohner Bukowinas, im Jahre 1869, 533.964 Menschen, in diese Zahl eingeschlossen 10.478 evangelische und 29.502 katholische Deutsche, Mit der Zeit ist die Zahl der Bewohner des Landes gestiegen, und daher - das Entstehen zahlreicher neuer Zweigstellekolonien (Filialen) neben der Hauptansiedlung.
Viele derartige Beispiele finden wir unter den schwäbischen Ansiedlungen. Aus Iillischestie sind Braschka, Balatschana, Stupka u. a. entstanden, aus Altfratautz - Neufratautz, Andrasfalva, Galineschtie. Genau war es mit den Ansiedlungen der Zipser und Böhmer.
Also hat das Gewerbe der deutschen Siedlungen Bukowinas im allgemeinen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gebildet.
Gerade in dieser Periode findet eine belebte Entwicklung der nationalen Kulturen des Landes statt und das war in der Hauptstadt des Herzogtums am meisten bemerkbar. Musikvereine verschiendener nationaler Nuancen wurden in den 60er-70er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Kraft, die den nationalen Geist und die wohlwollenden internationalen Beziehungen pflegten, weil die Musik, das Lied, war und ist immer eine wichtige Komponente auf dem Wege zum Fassungsvermögen zwischen den Nationen. Der Czernowitzer Männergesangverein, der Czernowitzer Frauengesangverein und der Schubertbund stellten die deutsche nationale Czernowitzgruppe dar. Die Werke von Brahms, Mozart, Beethoven, Schubert und Haydn und anderer hervorragender Komponisten tönten im vollen Saal des Musikvereins. Weder diese, noch eine Reihe von Vereinen, die damals entstanden sind, waren in der Lage, die nationale Gleichgültigkeit dieser Deutschen zu beseitigen, noch waren sie willens, dies zu tun.
Erst das Jahr 1897 wurde der Anfang des "großen Erwachens" und der Sammlung aller Deutschen in der Bukowina. Am 11. April fand die Gründungsversammlung des "Verein der christlichen Deutschen in der Bukowina" statt. In diesem Verein versammelten sich Katholiken und Protestanten, Männer und Frauen, Vertreter aller sozialen und professionellen Schichten: Beamte, Handwerker, Gewerbetreibende, Industrielle und Gutsbesitzer, Kaufleute und Obstgärtner, Dienstboten und Arbeiter, Lehrer und Wissenschaftler. Die unermüdliche Tätigkeit dieses Vereines, der sich in zwölf Komitees gliederte, erfaßte beinahe alle Wirkungskreise des Lebens, sowohl wirtschaftliche als auch kulturelle. Diesem Verein verdankten die Bukowina-deutschen die Entstehung der monumentalen Anlage in der Herrengasse 47 (heute Kobylanskagasse 53).
Wie der Verein so ist auch das Deutsche Haus aus bescheidenen Initiativen entstanden. Seine erste Kanzlei befand sich in einem Zimmerchen des Hauses Nr. 10 in der Neueweltgasse (jetzt Schewtschenkogasse), doch schon im Oktober 1897 ist sie ins Gebäude Nr. 4 am Franz-Josephsplatz (jetzt Kathedralplatz) übersiedelt, wo sie zwei Zimmer besaß. Nach einem Jahr seit der Gründung zählte der Verein schon 1.520 Mitglieder. Wegen der anhaltenden Entwicklung des Vereins und der Anhäufung von Akten wurde die Raumnot immer akuter. Deshalb zog der Verein wieder im Mai 1898 ins Gebäude Nr. 19 der Herrengasse um, wo er schon drei Zimmer zur Verfügung hatte. Die Zahl der Vereinsmitglieder wuchs von Tag zu Tag, die Tätigkeit in den Kammitees fand eine weitgehende Unterstützung bei den Deutschen des Landes. Und doch wurde es wieder zu eng in der Vereinskanzlei. Um nicht von einem Zimmer in zwei, von zwei in drei, von drei in vier usw. ständig umzuziehen, war eine kardinale Lösung des Unterkunftsproblems erforderlich. So wurde die Idee eines eigenen Deutschen Hauses geboren. Der Gedanke, ein Volkshaus der Deutschen zu besitzen, hat beiallen Freude ausgelöst, sodaß jeder bereit war, so gut er konnte, beim Sammeln für die Kosten des Gebäudes zu helfen. In der Monatsschrift des Vereins der christlichen Deutschen in der Bukowina, im "Bukowiner Bote", ist im Jahre 1898 eine Spalte "Deutsches Haus" erschienen, in der die Liste der Wohltäter publiziert wurde, die in den Fonds des Deutschen Hauses gespendet haben.
Am 13. Jänner 1899 wurde ein Komitee zur Errichtung des Deutschen Hauses gegründet. Zum Vorstand des Komitees wurde Professor Felix Baron Fürth ernannt, zu seinem Stellvertreter Dr. Rudolf Wolf. Das Komitee begann seine Tätigkeit und die Spenden begannen zu fließen. Viele Einwohner des Landes und der Hauptstadt haben ihr Scherflein beigesteuert. Im Februar des Jahres 1899 schrieb der "Bukowiner Bote": "Noch größer und allgemeiner ist das Interesse für die Angelegenheit des Deutschen Hauses. Dieses Haus soll ein Haus der Gesellschaften (Vereine) sein, groß und mit einem großen Saal, den auch andere Vereine für verschiedene Maßnahmen pachten können."
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Im August 1899, schon ein paar Monate nach der Gründung des Komitees "Hausbauausschuß", hat eine freudige Nachricht die Deutschen in der Bukowina erreicht. Es war gelungen, das Gebäude Nr. 40 in der Siebenbürger Straße (heute Hauptstraße) zu kaufen. Das geschah durch die Initiative des Ingenieurs Joseph Gabriel Müller. Diese Mitteilung hat eine wahre Freude erweckt, weil die Deutschen zum erstenmal nach der Entstehung des Vereines ein eigenes Haus erhielten. Das Gebäude wurde eingerichtet. Im Vorderteil befand sich ein Restaurant, im Flügel die Kanzlei. Im großen Garten wurde die damals modernste Gasbeleuchtung errichtet, noch bevor das elektrische Licht da war. Zum Zeitvertreib wurde im Jahre 1900 im Garten dieses Deutschen Hauses eine Kegelbahn errichtet. Der Garten war im Sommer als Begegnungsort für die Vereinsmitglieder gedacht. Freilich hat es der vom Rudolf Geib, nach dem Projekt des Joseph Caruk, aufgestellte Kegelbahn-Pavillon bewirkt. "Der Kegelbahn-Pavillon ist unbestreitbar der schönste in ganz Czernowitz" schrieb eine der Czernowitzer Zeitungen.
Mit der Erlangung des eigenen Nationalhauses hat sich das kulturelle und gesellschaftliche Leben der Deutschen in Czernowitz offensichtlich sehr gebessert. Am 30. Juni 1900 hat die deutsche Akademische Verbindung "Arminia" ein großes Gartenfest im Pavillon des Deutschen Hauses veranstaltet, das dem 23. Jahrestage ihrer Gründung gewidmet war. In den Pausen, zwischen zahlreichen Reden, hat der Chor Studentenlieder gesungen und es spielte die Musikkapelle des 41. Regiments. Der offizielle Teil des Festabends war um Mitternacht beendet, die Feier dauerte aber noch länger. Im Gartenpavillon waren 300 Plätze, viel zu wenig für alle Anwesenden, die dann direkt im Garten Platz nehmen mußten, reserviert.
Im Jahresbericht über die Tätigkeit des Vereines der christlichen Deutschen in der Bukowina für das Jahr 1901 hat der Vorstand des Vereins, Professor Theodor Gärtner, die Tätigkeit der Akademischen Burschenschaft "Arminia" mit folgenden Worten bedacht: "Arminia" ist die Hoffnung unseres Volkes und hilft uns immer bei allen unseren Maßnahmen und Forderungen".
Jeden Sonntag um 11 Uhr hielt der Verein im Kegelbahn-Pavillon freie Besprechungen über wirtschaftliche und juristische Fragen, die für alle Einwohner des Landes wichtig waren und jeden Sonnabend spielte bei schönem Wetter im Garten des Deutschen Hauses die Regimentsmusik, die ab 7 Uhr abends sehr viele Spaziergänger anzog. Der Vorstand des Vergnügungskomitees, Professor Karl Wolf, führte im Deutschen Haus beinahe wöchentlich Unterhaltungs- und Umgangsabende durch, die von vielen Vereinsmitgliedern besucht wurden, so auch wirtschaftliche und bildende Vorträge, theatralische Inszenierungen usw. Die ausschließlich von Vereinsmitgliedern dargebracht wurden.
Der zunehmende Aufschwung des Vereins der christlichen Deutschen in der Bukowina bewirkte nicht nur die Gründung einer großen Anzahl von Filialen, sondern auch die etlicher selbständiger Vereine. So haben sich aus dem Verein der "Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften, das "Deutsche Warenhaus" mit zahlreichen Filialen, eine Verlagsgesellschaft, das Schulhaus, der Turnverein "Jahn" entwickelt. Auf diese Weise gerade wegen seiner allumfassenden Arbeit auf allen Gebieten, hat sich der Verein der Christlichen Deutschen allmählich in einen Mutterverein der Bukowinadeutschen verwandelt, als "Verein der Vereine!" Eine der wichtigsten Leistungen des Vereins war die Erweckung des nationalen Bewußtseins der Deutschen im ganzen Lande. So steht es in der dritten Nummer des "Deutschen Kalenders für die Bukowina".
Das Deutsche Haus in der Siebenbürgerstraße war sonst ein Versammlungsort nicht nur für die Volkstumsarbeit, sondern auch für Geselligkeit und Erholung.
Im Deutschen Haus war der Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften, die Raiffeisenkasse für Czernowitz und Umgebung, ein Restaurant und später auch ein Warenhaus. Die Geschäfte dieser wirtschaftlichen Unternehmen erblühten. Das Deutsche Haus wurde wieder zu eng; man mußte schon daran denken, früher oder später, einen Neubau zu errichten. Aber das alte Gebäude war noch nicht vollständig schuldenfrei und daher gelang es nicht, diese Absicht rasch zu realisieren. Außerdem, angefangen mit dem Jahre 1904 stag nierte der Mitgliederzuwachs. In den ärmeren Schichten der deutschen Be völkerung des Landes trat eine gewis se Apathie ein, als Folge davon auch eine kritische materielle Lage: sogar die Unrentabilität des Vereinsorganes "Bukowiner Bote", der seit dem Jahre 1904 zu erscheinen aufgehört hat und dessen Herausgabe erst im Jahre 1909 erneuert wurde, trat ein.
In dieser schwierigen Lage erschien der Vorsitzende der landwirtschaftlichen Genossenschaft, Dr. Rudolf Wolf, als Retter. Nicht nur sollte das Deutsche Haus in der Siebenbürgerstraße von seinen Schulden befreit, sondern auch die Errichtung eines monumentalen Bauwerkes in der Herrengasse sollte ermöglicht werden. Sein Entwurf gefiel dem Vorsitzenden des Vereins, Professor Rudolf Scharizer. Daher lautete der Beschluß des Vereinsvorstandes: "Der Verein der christlichen Deutschen, der Verein der landwirtschaftlichen Genossenschaften, die Raiffeisenkasse und das Deutsche Schulhaus vereinigen ihren Kraftaufwand und wollen zum Wohl der deutschen Bevölkerung in der Bukowina ein gro?es deutsches Haus aufbauen".
"Die Einweihung des deutschen Nationalhauses ist eine bedeutsame Tatsache, besonders weil es sich gleichzeitig um das Symbol der Nationalzugehörigkeit handelt" - schrieb am 5. Juni die Zeitung "Czernowitzer Tagblatt".
"Das Deutsche Haus ist der Mittelpunkt des deutschen Lebens" - informierte eine andere Zeitung, die "Bukowiner Post". Das Organ des Verbandes der Bukowinadeutschen "Bukowiner Nachrichten" hat an diesem für die Deutschen unvergeßlichen Tag auf der ersten Seite eine große Fotografie des neuerbauten Hauses unter dem Titel "Heil unserem Haus veröffentlicht.
"Über hundert Jahre haben die Deutschen in der Bukowina gearbeitet und haben dabei sich und das eigene Volk vollkommen vergessen. Sie haben nichts geschafft, was ihrem Volk nützlich sein konnte. Und erst jetzt sind die Bukowinadeutschen dazu gekommen, sich eine eigene Festung zu bauen, äußerlich ihre Existenz und das Recht auf ihr Dasein zu bezeugen" - solche Worte hat der ehemalige Vorsitzende des Vereins, Professor Scharizer, zum Ausdruck gebracht.
Dieses große Bauwerk, das Deutsche Haus in Czernowitz, ist durchschnittlich fünf Stock hoch. Die Fassade des Gebäudes ist im deutschen Stil des Anfangs des XX. Jahrhunderts im Jugendstil gehalten. Ohne den kunstplastischen Verzierungen und Bandgesimse gewinnt es seine Lebhaftigkeit durch die Menge der Balkone und Loggien und ist von einem spitzen Giebeldach gekränt. Als Mittelstelle des Gebäudes wirkt der große Festsaal. Seine Fläche ist 12 x 18 Meter groß, die Höhe 10 Meter. Die ausgezeichnete Akustik bildeten einerseits die vorschriftsmäßigen Proportionen des Saales, andererseits - die gewölbte Decke, die als Schallverstärker (Resonator) diente. Die angenehme Bequemlichkeit wurde durch höchstbescheidene Mittel erreicht. Vor allem haben dazu die rot-weißen Farben der Wände und die aus Eichenholz verfertigten Verzierungen beigetragen. Die in den schlichtesten geometrischen Formen ausgeführte Malerei paßte sich ausgezeichnet der Konstruktion an. Außer der Harmonie der schwarzrot-goldenen Farben stimmten auch die grau-schwarz-goldenen überein. Die Decke und die Wände oberhalb der Fenster waren weiß getüncht. Das mächtige spitze Gewölbe trennte den Saal von der Bühne und im Widerspruch zu jeder Norm, war im Wölbungsteil des beweglichen Theatervorhangs, am spitzen Bogen, das Bild des Malers Offner, welches das "Einst" und "Jetzt" darstellte. Durch die TÜren, die sich auf beiden Seiten öffneten. Waren die anliegenden Räume mit dem großen Saal verbunden. Die Nachtbeleuchtung des Saales besorgten Kronleuchter, die organisch mit der Architektur und Malerei übereinstimmten. Die Logen, die sich durch ornamentale Verzierungen in die Nischen vertieften, waren durch eine effektvolle Beleuchtung mit roten glimmenden Lampen ausgestattet. Die Tagesbeleuchtung des Saales erfolgte durch sechs Fenster der Seitenwand und der zweistöckig anliegenden Zimmer. Der erste Stock des Saales hatte zwanzig Logen, der zweite - eine seitliche Galerie.
In den schönen Räumen des neuen Deutschen Hauses wurden zahlreiche deutsche kulturelle und wissenschaftliche Gesellschaften untergebracht, und zwar: das Deutsche Warenhaus, die Akademische Burschenschaft "Arminia", der Verein der christlichen Deutschen, der Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften, die Raiffeisenkasse und die Gesellschaft "Prutana". Die neue Festung der Bukowinadeutschen hat nach manchen Abschätzungen zwei Millionen Kronen gekostet.
Außerdem hatte das Gebäude private Wohnungen, die zum Verpachten bestimmt waren und damit unterschied es sich von allen anderen Nationalhäusern in Czernowitz.
Die Errichtung des neuen Deutschen Hauses in Czernowitz hat einen großen Widerhall nicht nur im ganzen Lande gefunden, sondern auch weit außerhalb der Grenzen. Bei der feierlichen Einweihung des Nationalhauses der Bukowinadeutschen haben viele Gäste aus verschiedenen Ländern der Monarchie teilgenommen. Einer der Gäste hat in seinem Auftritt während der Eröffnung gesagt: "Wir sind hergekommen, um Euch Mut zu bringen, zum Kampf aufzurufen, aber wir, die aus dem Westen gekommen sind, stehen da, als ob wir unter eine kalte Dusehe geraten wären. Wir müssen unsere aufrichtige Verwunderung ausdrücken darüber, was ihr in kurzer Zeit erreicht habt. Wie herrlich besteht Euere Organisation! Durch alte deutsche Länder durchschritt die Anerkennung, daß die Bukowinadeutschen ein lebensfähiges Zweiglein des deutschen Volkes sind.
Wie eine feste Burg stand das neue Deutsche Haus im Zentrum des deutschen national-kulturellen Lebens in der Hauptstadt des Landes. Die deutschen Einwohner des Landes wußten doch, daß wenn sie nach Czernowitz kommen, sie im Deutschen Haus gerne empfangen werden. Sie fanden dort immer Rast und konnten alle ihre Sorgen und Nöte vortragen.
Zahlreiche Erholungsabende mit den mannigfaltigsten Programmen, "Tafelrunden" für Besprechungen aktueller Fragen, Beratungen erfahrener Juristen, all das und auch viele andere Maßnahmen belebten in den Räumen des Deutschen Hauses, Herrengasse 47, die Deutschen und bestärkten sie im Geist der Zusammengehörigkeit.
Am 4. Februar 1911 hatten die deutschen Akademischen Vereine im Festsaal des Deutschen Hauses einen großartigen Ball organisiert. Anwesend war fast das ganze weltliche Czernowitzer Publikum an der Spitze mit dem Landespr?sidenten der Bukowina, Herrn Baron von Bleyleben, dem Marschall des bukowinischen Landtages, Freiherr Wassylko, dem Bürgermeister von Czernowitz, Baron Fürth. Unter den Gästen waren General Major Raffam, der Rektor der Universität Prof. Friedwagner, die Professoren Heitier, Radakowicz, Kaindl, Zelinka, Tarnawski, Böhm u. a. Zu diesem Fest kamen Repräsentanten der akademischen Vereine aus Wien: "Arminia", "Hubertus", "Olympia", wie auch rumänische und ukrainische Studenten. In dem Augenblick als der hochgeehrte Rektor in den Saal eintrat, erschallte in großartiger Weise das Studentenlied "Gaudeamus". Der Tanzabend dauerte bis fünf Uhr früh.
Außer den mannigfaltigsten Maßnahmen zur Erbauung war das Deutsche Haus in Czernowitz ein Ort, wo eine ganze Reihe nationaler Maßnahmen beraten worden sind, die seine Bedeutung beträchtlich höher bewer ten läßt.
"Deutsch-nationalistisch nennen unsere Feinde unsere Stimmungen und mit dieser Wortverbindung wollen sie unsere Gesellschaft verleumden und verdächtigen. Jawohl, wenn das Wort deutscher Nationalismus gleichzeitig Liebe zum deutschen Volk bezeichnet, Treue den deutschen Sitten, Anforderungen zur Aufbewahrung der deutschen Kultur, dann sind wir, freilich, Nationalsozialisten" schrieb noch im Jahre 1900 Professor Scharizer. Und ohne eine solche Beschuldigung im deutschen Nationalismus zu befürchten ist Dank des Professor R. F. Kaindl die Idee entstanden, in Czernowitz eine Tagung der Deutschen aus aller Karpathenländern zu veranstalten. Die Deutschen der Karpathenländer haben doch eine ähnliche Vergangenheit und ähnliche Aufgaben, darum war der Bedarf einer innerlichen Einigung unentbehrlich.
Die Idee der Ersten Tagung der Karpathendeutschen in Czernowitz fand eine eifrige Unterstützung in allen Teilen des Landes. Und daher hat das schöngeschmückte Deutsche Haus in Czernowitz vom 30. Juni bis zum 4. Juli 1911 die zahlreichen Gäste und Teilnehmer der Karpathendeutschen, die mit einem großen Turnfest verbunden war, empfangen. Dieses großartige Ereignis, welches im Haus der Bukowinadeutschen stattgefunden hat, bewies seine Bedeutung als Zentrum der deutschen Kultur. In seinen Mauern fand damals die Gründung des Verbandes der Karpathendeutschen statt. "Unser Deutsches Haus wird eine großartige Festung aller Deutschen der Karpathenländer, aller deutschen Gemeinschaften, die hier immer verteidigt sein werden" - stand es am 2. Juli 1911 in den "Bukowiner Nachrichten".
Der erste Weltkrieg hat das deutsche kulturelle und gemeinschaftliche Leben eingestellt.
Und erst im Jahre 1919 beginnen die Deutschen stufenweise das vor dem Kriege Erworbene herzustellen, aber schon als Untertanen des königlichen Rumäniens. Die Politik der totalen Rumänisierung der Einwohner des Landes hat auch die deutsche Gemeinschaft nicht verschont. Und doch hat die deutsche Sprache und die deutsche Kultur noch zwei Jahrzehnte eine angesehene Rolle in den Städten und Dörfern der Bukowina gespielt.
In der Mitte der zwanziger Jahre hat sich die deutsche Jugend rege in die völkische Tätigkeit eingereiht. In dieser Periode entstanden jugendliche Organisationen der Deutschen. Aber die dominierende Rolle im kulturellen Leben der Deutschen des Landes spielte dennoch der Verein der christlichen Deutschen, der auch weiterhin sein Organ "Bukowiner Bote", später Czernowitzer Deutsche Tagespost, und den "Deutschen Kalender" für die Bukowina herausgab.
Auf diese Weise wurde das Deutsche Haus in Czernowitz ein Symbol des deutschen Geistes und Selbstbewußtseins. Unbestreitbar ist seine Bedeutung als Hauptvorposten der deutschen Kultur in der Bukowina und sogar im Karpathengebiet. Und doch haben die Bukowinadeutschen außer dem Nationalhaus in der Hauptstadt des Landes auch eine bedeutende Anzahl von National- und Volkshäuser in den Bezirkszentren und anderen Ansiedlungspunkten der Bukowina gegründet. So hat schon am 22. November des Jahres 1903 die festliche Eröffnung des zweiten in der Bukowina deutschen Nationalhauses in Kimpolung stattgefunden. Nach einiger Zeit sind Zentren der deutschen Kultur in Gura-Humora, Storozynetz, Radautz, Rosch, Hliboka, Molodija und anderen deutschen Gemeinden entstanden. Gewöhnlich hat man sie mittels der Filialen des Vereines der christlichen
Deutschen in der Bukowina und der Raiffeisenkasse gegründet und erhalten. In vielen dieser Häuser waren schöne Bibliotheken untergebracht. Am Vortag des ersten Weltkrieges waren es im allgemeinen fünfzig Deuts?he Häuser in der Bukowina.
Der Aufstieg der geistlichen und wirtschaftlichen Kultur, die am Ende des XIX. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, wurde im Jahre 1918 durch den Anschluß an das königliche Rumänien beendet. Der gänzliche Verfall, so wie auch der Verfall anderer nationaler Kulturen, begann aber im Jahre 1940 mit dem Anschluß der nördlichen Bukowina an die Sowjetunion.
Darstellung des ukrainischen Akademikers
Sergej Ossatschuk
Czernowitz 1994