Days of Terror in Czernowitz in April 1933

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Schreckenstag in Czernowitz [S. 1, oben, links]
Hakenkreuz mobilisiert den Mob

Die Hakenkreuzorganisation hatte für den Osterdienstag ein großzügiges Repertoire festgelegt. Es wurde abgewickelt, wie es sich die Drahtzieher vorstellten, es endete am späten Abend mit der militärischen Besetzung des Zentrums der Stadt und der Nebenstraßen, mit blutigen Köpfen, Verhaftungen, mit Konferenzen, die bis in die späten Nachstunden dauerten.

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Endlich haben die Behörden die Situation erfaßt. Es war zu spät, als die Gendarmerie und Militär im Sturmschritt die Hakenkreuzoffensive zum Stehen brachte, aber noch nicht zu spät, – und erst, wenn jetzt reiner Tisch gemacht wird, das Uniformtragen verboten, die Pressehetze eingestellt, das Kokettieren mit Hitler nicht zum Dogma einer aktiven Antisemitenpolitik bei uns gemacht wird, wenn die Schlupfwinkel ausgeräuchert, die bekannten Herren, welche diese Agitation leiten, verhaftet sind, u. vor allem das Intrigenspiel gewisser leitender Beamten endlich mal gebrochen sein wird, dann erst wird die Bevölkerung aufatmen können und die Stadt von einem Albdruck befreit sein. Aber nicht nur die Stadt, sondern auch der Staat, denn nach den alten Erfahrungen beginnt es bei der Judenhetze und endet anderswo, wo man es nicht gerne haben will. Es stehen gerade in den wichtigen außenpolitischen Fragen, in Fragen, die das Lebensinteresse Rumäniens berühren, Dinge auf dem Spiele, die man durch Hakenkreuzexzesse zum Schaden des Staates nur stören kann. Das Berliner Exempel läßt sich von Rumänien nicht kopieren. Die Persönlichkeiten, die die Autorität in Händen haben, müssen den Mut aufbringen, das Hakenkreuz-Gewächs im Keime zu ersticken. Noch ist es Zeit!!

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Seit Tagen geht die Mär, daß in Czernowitz nach Berliner Muster S.-A.-Formationen gebildet werden.
Die Leute erzählten, daß in den Vorstädten Hitleruniformen gesehen wurden, einer sagte, er habe ganze Züge auf dem Exerzierfelde beobachtet. In die Stadt trauten sich diese Bukowinaer S.-A.-Männer nicht. Man war deshalb auch auf die Gerüchte angewiesen, schließlich tauchten die S. A. im Weichbild der Stadt auf. Im früheren Pavillontheater in der Russischengasse war das Lager aufgeschlagen worden. Aus der Mär wurde nunmehr Wirklichkeit. Der Belagerungszustand verbietet das Tragen von Abzeichen und Uniformen. Hier haben die Behörden ein Auge zugedrückt, zumindest haben sie die Formationsbildung der heimlichen Nazis toleriert.
Erst am Sonntag sind auf einer Wachstube Anzeigen erstattet worden, daß sich die Zahl der S.-A-Männer mehre, man sehe sie in der Nähe der Nazi-Kaserne herumbummeln, dann wurde erklärt, daß sie sich für einen Ueberfall vorbereiten. Die Polizei zuckte mit den Achseln, was so viel heißen soll: Wir können nichts machen!

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Aber es war nichts geschehen, was das Publikum erregt hätte. Schließlich, wenn die Herren das Uniformspielen fortsetzen wollen, dann sollen sie es tun … wenn sie nur der Bevölkerung aus dem Wege gehen. Aber diese Ansicht war falsch, die Hoffnung getäuscht. Man darf eben in Zeiten der Unruhe sich nicht auf Wunder verlassen …

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Auftakt zum Sturmangriff
Dienstag 1 Uhr mittags. Eine Promenade, wie sie nur an einem schönen Feiertage möglich ist. Man würde an dieser Promenade kaum die Krise merken. Plötzlich, an der Ecke Herrengasse-Ringplatz, ein Zusammenlauf. Ein junger Mann tritt auf den Studenten Polesiuk zu und stellte ihn in deutscher Sprache zur Rede: „Warum stören Sie den Verlauf des „Scharfschützen?“ Polesiuk bekommt gleich darauf mit einem Knüttel einen Hieb über den Kopf. Er wehrt sich und sucht die Ecke der Banca Comerciala zu gewinnen. Dort erwartet ihn der bekannte Costache mit paar Leuten. Polesiuk wird niedergehaut, mit Füßen getreten und brutal behandelt. Die Zuschauer sind verblüfft, merkwürdigerweise regt sich kein Widerstand, sie haben zugesehen, – wie Polesiuk geprügelt wurde und hatten nicht Hilfe geleistet.
Nur einer stürzt aus der Menge und will den Angriff auf Polesiuk abwehren. Aber diese zehn jungen Burschen, Nazimänner, alle deutsch-sprechend, rennen dem Kollegen Polesiuks, Picker, nach. Picker flüchtet in den Bäckerladen Bruckenthal, die Nazis ihm nach und schlagen wie wild um sich. Der Sohn Bruckenthals bekommt Hiebe, die beiden Verkäuferinnen werden geschlagen … und die Menge des Osterdienstag sieht – – nochmals sei das Wort merkwürdig betont – tatenlos zu. Auch ein Wachmann hat für diese Szene nur den Ausdruck des Bedauerns. „Ich kann doch nichts gegen so viele ausrichten!“ Damit ist das Nazispiel um die Mittagsstunde zu Ende. Nein, noch nicht zu Ende, denn die Nazis laufen noch die Herrengasse hinauf, ein Straßenphotograph will die Gruppe im Bilde festhalten, sie verprügeln den Photographen und unter den Rufen „Heil Hitler, hoch Cuza, Nieder mit den Juden“ jagen sie dann die Herrengasse hinauf.
Das Ereignis war besprochen. Dieser Vorfall hat Empörung hervorgerufen, er zählt zu den regelmäßig wiederkehrenden, und man hätte ihn bald vergessen. Aber kurz darauf – es war um die vierte Nachmittagsstunde – werden ähnliche Exzesse gemeldet. Zunächst diese „Episode“:
Nachmittags gegen halb 4 Uhr überfielen in der Gymnasialgasse (str. Aron Pumnul) sechs cuzistische Burschen einen jungen jüd. Beamten, der ihnen zufällig begegnete. Einer von ihnen versetzte ihm mit einem harten Gegenstand einen Schlag gegen die Nase; als der junge Mann sich zur Wehr setzen wollte, stürzten sie mit gezückten Taschenmessern auf ihn los und brachten ihm Verletzungen am Handrücken bei. Während der Beamte die Flucht ergriff, setzten die Cuzisten seelenruhig ihren Weg zum Nationaltheater fort. Die Polizei hat nicht eingegriffen.
Dann gab es kleine Plänkeleien in der Tempelgasse und in der Russischengasse. Niemand hätte geahnt, daß diese Szenen das Vorspiel zum großen Ereignis sein werden, das um 7 Uhr abends seinen Anfang nahm und durch zwei Stunden die Stadt in Panik versetzte.

Sturmangriff des Mob [S. 1 oben, rechts]
Militär naht im Eilmarsch

Für 7 Uhr abends war der Generalangriff des von den Hakenkreuzlern mobilisierten Mobs gegen das Zentrum der Stadt angesetzt. Auf ein offenbar gegebenes Zeichen stürmten ungefähr 400 Menschen, fast durchwegs Vorstädtler, darunter polizeibekannte Individuen, mit Holzstücken und Steinen, wie sich später herausstellte, mit Messern, Dolchen und Revolvern bewaffnet, von der Russischengasse, demnach von der Sammelstelle des Pavillontheaters die Russischegasse zum Ringplatz hinauf und von da, sich in Grupps [Trupps] teilend, in die Herrengasse gegen die Piata Alexandri, durch die Schillergasse in die Altgasse, die andere Gruppe durch die Tempelgasse gleichfalls auf die Piata Alexandri in die Rothkirchgasse, um sich wieder in der Universitätsgasse zu vereinigen. Eine weitere Gruppe hatte sich von der Hauptgruppe an der Ecke Hauptstraße losgelöst und zog diese Straße hinunter. Die späteren Erhebungen ergaben, daß dieser Generalüberfall nach einem bestimmten Plan vor sich gegangen ist.
Ziel- und wahllos attackierten sie die Passanten, hieben mit ihren Raub- und Mordinstrumenten auf die Leute ein, die fluchtartig das Weite suchten. Die großen Schaufenster der Straßen, die sie durchzogen, wurden eingeschlagen. Aus vielen Auslagefenstern sind die Sachen geplündert worden. Sie drangen in die Geschäftslokale und bedrohten die Geschäftsinhaber. In der Rothkirchgasse zwangen sie einen Greisler, die Barlosung herauszugeben. Von größeren Unternehmungen wurden durch diese Exzesse betroffen: die „Scala“, Schächter, ec. Die Scheiben in den Häusern der Schillergasse, Armeniergasse, Rothkirchgasse sind durch Steinwürfe zertrümmert worden. Der Student Georghian, ein Bruder des Advokaten Georghian, wurde durch Messerstiche schwer verletzt. Bisher sind verletzte Personen festgestellt worden, darunter zwei Damen der rumänischen Gesellschaft.
In der Nähe des polnischen Hauses traten den Demonstranten der Kommandant der Gendarmerie und der Quästor Amarescu entgegen. Die beiden Herren versuchten, die Menge zur Stillegung ihrer weiteren Exzeßabsichten zu erhalten. Schon in jenem Momente war das Militär von den Exzessen informiert, und es war um Entsendung von Gendarmerie und Militär angesucht worden. Die Verhandlungen zogen sich aber in die Länge.
Inzwischen zogen die Demonstranten weiter.
Die Russischegasse wurde ihr schlimmstes Opfer. Dort hatten sich die dunklen Elemente der Vorstadt, umgeben von uniformierten Nazimännern, gesammelt, und von hier machten sie noch unausgesetzt Ausflüge in die nächstgelegenen Straßen. Es war auffallend, daß die Polizei noch immer nicht in genügender Stärke zur Stelle war. Die Fiaker jagten mit flüchtenden Menschen nach Hause. Das Auto der Rettungsgesellschaft kam zum Kommissariat am Ringplatz und fuhr bald ab, man wußte nicht, was los ist, konkretes Material war nicht zur Hand, der Mob spekulierte, weil sich Abwehr nicht einstellte, auf andere Taten.
Die Erregung war bereits auf höchste gesteigert, wie immer in solchen Fällen standen die neugierigen um den Mob herum. Es gab kleinere Zwischenfälle. Auf dem Theaterplatz hauste der Mob barbarisch, indem er alle Obststände umwarf und das Obst vernichtete. Die Rolläden wurden heruntergelassen – eine Elementarkatastrophe, nein, der Exzeß einer durch Hetzreden und Geldversprechungen, besser noch durch freigestellte Plünderungen aufgehetzten Masse aus den unteren Gründen …
Endlich um neun Uhr abends, als gerade der Mob sich zum letzten Angriff entschloß und von der Russischengasse den Ringplatz hinauf stürmen wollte, kam gerade zur rechten Zeit das Militär im dröhnenden Sturmschritt und mit aufgepflanztem Bajonett.
Es war ein Schauspiel, wie man die Bilder nur aus Revolutionstagen kennt. Die Autorität des Militärs tat ihre Schuldigkeit. Der Mob entfloh in die Nebengassen. Das Militär riegelte alle Straßen ab. Der Ringplatz hat das Bild einer militärischen Besetzung. Mit einem Male waren Plätze und Straßen menschenleer geworden, bis auf die Soldaten und die Offiziere, die ihren schweren Dienst versahen. Zwei Stunden, nachdem die Sicherheit gegeben war, wurde der Verkehr wieder freigemacht.

Verhaftungen – Geschäftsstörung – Konferenzen
Panik auf dem Höhepunkt

Die Polizei hat 46 Verhaftungen vorgenommen. Sie glaubt, daß sie den Stoßtrupp, der für heute angesetzt war, gefaßt habe. Die ersten Erhebungen zeigen noch nicht das vollständige Bild. Es ergibt sich nur mit aller Wahrscheinlichkeit, daß die rumänischen Studenten an den heutigen Exzessen nicht beteiligt sind. Nur Herr Costache wurde abends gesehen und von der Polizei gefaßt. Der Statist des Nationaltheaters, Ionescu, soll ebenfalls in den ersten Reihen gestanden sein.
Wer also die Inspiratoren des heutigen Tages waren, ist noch nicht festgestellt worden. Daß in der Menge hauptsächlich deutsch- und ukrainischsprechende Individuen waren, ist, mit aller Bestimmtheit festgestellt worden. Die Hauptsache ist, die Urheber der Exzesse ausfindig zu machen, und das kann nur in der Weise erfolgen, daß das Nest im Pavillontheater ausgehoben wird. Nach dieser Richtung gehen die Bestrebungen maßgebender amtlicher Stellen.
Die Absicht der Exzedenten ist aber für alle Fälle erreicht worden. Das Publikum wurde eingeschüchtert, das Geschäftsleben ist gestört worden. Kinos und Lokale blieben abends leer, der Schaden ist sehr groß. Man muß mit Dank feststellen, daß die durchgreifende Aktion des Militärs am Abend Ruhe in die Bevölkerung gebracht hat. Bis in die späten Nachstunden dauerten die Konferenzen zwischen Division, dem Bezirkspräfekten und der Polizei fort.

Ein Schreckenstag liegt hinter Czernowitz, den man nicht nochmals erleben möchte. Die gereizten Nerven der Einwohner dieser Stadt, die sich trotz aller Exzesse mustergültig verhielten, können einen solchen Tag ebensowenig ertragen, wie die an und für sich geschwächte wirtschaftliche Situation.